Die Mystikerin und Charismatikerin

Mystikerin

Das Wort „Mystik“ hat seine Wurzel im griechischen Wort „my-ein“ = Augen schließen, sich versenken. Dies deutet schon an, was Mystik ist: Die Grundform religiösen Lebens, in der der Mensch so tief in das unerforschliche Geheimnis Gottes hineingenommen wird, dass es gleichsam zu einer geistigen Schau, zu einer „Unio mystica“, kommt. In dieser seelischen Vereinigung erfährt der Mensch eine Ahnung von der unbegreiflichen Größe und Liebe Gottes, zugleich aber wird ihm auch der Wille und Auftrag Gottes offenbart.
 
Mutter Marie Therese war eine Mystikerin. Gott ließ sie erstmals im Alter von zwölf Jahren in einer Messfeier während der Wandlung das Geheimnis der Eucharistie schauen und das Wesen des Priestertums erkennen. Dieser mystischen Versenkung folgten weitere übernatürliche Erlebnisse. Ihre geistige Zwiesprache mit Gott riss niemals ab und führte sie schließlich zur Gründung der „Communio in Christo“, die sie in Gottes Auftrag „auf Befehl des Geistes“ vollzog.
 

Charismatikerin

Das Wort „Charisma“ wird im alltäglichen Sprachgebrauch bisweilen missverstanden. Bei Menschen mit großen Begabungen und Talenten und mit einer mitreißenden Begeisterungsfähigkeit spricht man oft von „charismatischen Menschen“.

Charismen im theologischen Sinn sind nach den Aussagen der Briefe des Apostels Paulus nach Rom (Kapitel 12) und Korinth (1 Kor 12) wie auch nach allgemeiner theologischer Lehre vielfältige, unterschiedliche Gaben des Heiligen Geistes. Sie dienen allen Menschen, dem Aufbau und der Erneuerung der Kirche und ihren Gemeinschaften. Sie wollen Leben und Sendung Christi in der Welt verwirklichen. Über jedem Charisma, über jeder Gabe und Begabung steht das Geschenk der Liebe.

Ein besonderes Charisma hat mit einem außergewöhnlich intensiven Wirken des göttlichen Geistes zu tun. Solch ein seltenes Charisma als mystische und prophetische Gabe des Heiligen Geistes ist Baustein der Mystik. Was in der mystischen Versenkung geschaut wird, wird von den Charismatikern als Auftrag Gottes verstanden. Insofern gehören Mystik und Charisma untrennbar zusammen.
 
Unter dem „außerordentlichen Charisma“, dem „charisma maximum“, versteht der große mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin eine „Funktion der Offenbarung Gottes an sein Volk“. Mutter Marie Therese war eine mit einem solchem – außerordentlichen – Charisma beschenkte Persönlichkeit mit der Begabung, sich ganz auf Gott und gleichzeitig ganz auf die Kirche, gleichzeitig aber auch ganz auf die Wirklichkeit der Welt einzulassen. Das zeigte sich in ihrer Begegnung mit Menschen und deren Nöten, in der Auseinandersetzung mit Problemen und Fragen der Zeit und in der Gründung eines umfassenden Sozialwerkes. Die Liebe in der Welt zu verwirklichen gemäß dem Leben und Auftrag Christi, war ihr ganzes Streben, das sie der Communio in Christo als Auftrag und Erbe hinterlassen hat.

Den Begriff des „außerordentlichen Charismas“ erwähnt die kirchliche und theologische Literatur nur am Rande, vielleicht weil sie die Nähe zu anderen Phänomenen wie Visionen, Ekstasen, Stigmata, Wunder-, Heilungs- und Sprachengabe fürchtet.
 
Für Mutter Marie Therese gehören kirchliches Amt und Charisma zusammen. „Ohne Amt stirbt das Charisma“, sagte sie, „ebenso wie das Amt ohne Charisma zum Sterben verurteilt ist.“ In dieser Aussage zeigt sich, wie tief die Gründerin in der Kirche verwurzelt war, deren Reform in der Liebe im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils ihr Anliegen war.